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WUNDER und WUNDERSUCHT

Was bleibt vom Glauben, wenn das Wunder ausbleibt?

 

 

 

Der Versuch einer Definition

Gerade Menschen in Not oder Krankheit sehnen sich oft nach der Verbesserung ihrer Situation durch ein Wunder.

Wie werden ihre Gebete erhört? Warum scheint es oft so, daß sie nicht erhört werden?

Ein Beispiel: In den letzten Kriegstagen des 2. Weltkriegs wurde auf der Ostsee die "Gustlow", ein Flüchtlingsschiff mit mehreren tausend deutschen Flüchtlingen, von englischen U-Booten beschossen, weil vermutet wurde, daß auf dem Schiff auch Tonnen von Munition befördert wurde. Während das Schiff langsam unterging, waren – wie die wenigen Überlebenden berichteten – neben den verzweifelten Schreien von Müttern, die nach ihren Kindern riefen oder umgekehrt, auch unzählige Gebete zu hören. Warum wurden nur so wenige gerettet, vielleicht sogar solche, die nicht einmal gebetet und ein christliches Leben geführt haben? –

Immer wieder suchen aber auch Menschen ohne konkrete Notsituation nach Wundern, z. B. an vermeintlichen Erscheinungsorten, als letzten Beweis für die Richtigkeit ihres Glaubens bzw. ihrer Hoffnung, oder weil sie glauben, nur so Gottes Nähe und Wirklichkeit spüren zu können.

Das Wunder aber bleibt häufig eher aus, als daß es geschieht...

Stellen wir uns zunächst die Frage, was wir überhaupt unter einem "Wunder" verstehen können, bevor wir den Fragen nachgehen, wo und wie uns im Glaubensalltag Wunder begegnen.

Es gibt verschiedene Zugänge sich dem Themenbereich der Wunder zu nähern:

  1. Man kann von der Definition ausgehen, die Lexika oder einfach der Mann oder die Frau auf der Straße diesem Begriff geben würden...

  2. Man könnte Berichte über unerklärliche Phänomene in den Zeitungen sammeln und auf ihren Inhalt hin abfragen...

  3. Man kann natürlich auch in der Bibel nachschlagen und die verschiedenen Wunderberichte untersuchen um zu einer Definition zu kommen...

zu 1:

Das Neue-Duden-Lexikon aus dem Jahr 1984 definiert den Begriff "Wunder" wie folgt:

"Wunder, ein Staunen oder Furcht erregendes Geschehen, das von Gläubigen vieler Religionen als Machtbezeugung, [Vor]zeichen, Strafe oder Wohltat der Gottheit (der Gottheiten) gedeutet wird. Nach ev. Auffassung setzt das Erlebnis des Wunders den Glauben voraus. Nach kath. Lehre ist das Wunder ein mit den Sinnen wahrnehmbarer, die Naturgesetze durchbrechender Vorgang."

Inwieweit diese Definition – besonders in ihrer theologischen Deutung – nun stimmt, werden wir später noch überlegen müssen. Tatsache aber ist, daß diese Definition das Verständnis der meisten Menschen treffen würde.

zu 2:

Anfang der 60-ger Jahre ereignete sich in Lengede ein schweres Grubenunglück, bei dem viele Bergleute über Tage hinweg in einem abgelegenen Stollen eingeschlossen waren. Noch vor dem Krieg hätte man wegen fehlender Technologie kaum noch Hoffnung für die Eingeschlossenen gehabt. Jetzt aber war nicht nur der Wille zur Rettung der Verunglückten da sondern auch die entsprechende Technik, zunächst einen Versorgungsschacht und später einen Rettungsschacht in den Stollen zu bohren, ohne die Bergleute zu gefährden. Man war derart von einem guten Ausgang der Rettungsaktion überzeugt, daß diese damals life im Fernsehen übertragen wurde.

Diese Rettungsaktion wurde damals von der Presse und den Medien als das "Wunder von Lengede" beschrieben – obwohl eigentlich wirklich nichts Unerklärliches dort geschah, obwohl es unter den Bergleuten auch Opfer gegeben hat, die die Rettung nicht mehr erlebten, und obwohl die gesamte Rettungsaktion eigentlich doch der sorgfältigen Planung und dem unermüdlichen Einsatz der an der Rettungsaktion beteiligten Ingenieure und Helfer zu verdanken ist.

Ein anderes Beispiel aus der Nachkriegszeit ist das vielgepriesene "Wirtschaftswunder" von dem der Vater, der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, an seinem 80. Geburtstag sagte, es sei alles andere als ein Wunder gewesen sondern die Frucht harter Denk- und Planungsarbeit und das Ergebnis zäher Verhandlungen mit Arbeitgebern, Arbeitnehmern und den damaligen Siegermächten.

Interessant ist sicher auch die Feststellung, daß – je bunter die Boulevard-Presse – desto häufiger auch die Berichte über vermeintliche Wunder sind.

Da wird berichtet über Unfälle, die ein Beteiligter wie durch ein Wunder überlebt, über Operationen, deren Gelingen als Wundertat des Arztes dargestellt werden, und natürlich immer wieder die Berichte über wundersame Erscheinungen vornehmlich der Muttergottes, die auf Fotografien, in Rosenblüten und Dornbüschen oder erst kürzlich wieder (war es in Amerika?) auf der Rückseite von Verkehrsschildern erschienen sein soll.

Interessant ist ferner, daß heute die religiöse Deutung unerklärlicher Ereignisse immer mehr abgelöst wird durch den Glauben an außerirdische Wesen, die tagtäglich in unseren Lebensalltag eingreifen sollen, aus welchen Gründen auch immer. Kinder, die unbeaufsichtigt und unbegleitet diese – teilweise fast dokumentarisch aufgemachten – Sendungen im Fernsehen sehen, werden quasi groß mit der Vorstellung, daß es diese Wesen tatsächlich gibt und sie verantwortlich sind für alles, was uns die Wissenschaft bislang nicht erklären kann.

Wenn sich aber die Wissenschaft mit dieser Erklärung zufrieden geben würde, dann würde es keine neuen Erkenntnisse geben, so wie wenn die Wissenschaft bei jedem Wunder stehen geblieben wäre und sich mit der Erklärung des wundersamen Eingreifens Gottes zufrieden gegeben hätte. Viele Ereignisse, die früher als Wunder gedeutet wurden, sind nach heutigem Wissen als ganz natürliche Vorgänge zu erklären. Wir würden heute noch die Pest als Strafe Gottes betrachten und die Krankheitserreger dieser Geisel der Menschheit wären bis heute noch nicht entdeckt, hätte die Wissenschaft nicht geforscht und versucht sondern sich darauf beschränkt, die Menschen nur auf ein Wunder zu vertrösten.

zu 3:

Aufschlußreich ist nun sicher die Frage, wie häufig der Begriff oder das Wort "Wunder" in der Bibel, der grundlegenden Bekenntnisschrift der Christenheit, vorkommt. Die Zahl variiert natürlich von der verwendeten Bibelübersetzung und hängt auch davon ab, ob man die entsprechenden Adjektive (wie: wunderbar) oder Wortzusammensetzungen (wie: Wunderkraft) mit berücksichtigt oder nicht... Wenn man aber das Ergebnis betrachtet, kann man diese Überlegungen getrost außer Acht lassen, so eindeutig ist das Ergebnis:

Nach der Wortkonkordanz des "Praktischen Bibelhandbuchs" des Katholischen Bibelwerks Stuttgart aus dem Jahr 1968 kommt das Wort "Wunder" bzw. "Wundertat" 17 mal im Alten Testament und 36 mal im Neuen Testament vor, wobei die Parallelstellen in den vier Evangelien hier natürlich nicht mitgezählt wurden.

Mancher wird sich hier also sicher wundern, denn meist vermutet man, daß in der Bibel häufiger von Wundern die Rede sein müßte. Denn unser Religionsunterricht hat über Jahrhunderte hinweg immer mit Vorliebe von den Wundern gesprochen aber kaum davon, welche Bedeutung diese Wunderberichte in der Absicht der biblischen Verfasser eigentlich haben. Wunder als Belohnung sozusagen...

Das Johannesevangelium macht bei der Übernahme von Wundererzählungen seine katechetische Absicht dadurch etwas deutlicher, daß es einen anderen Ausdruck verwendet:

So heißt es beim – wie wir sagen – "Weinwunder" der Hochzeit von Kana zum Beispiel: "So tat Jesus sein erstes Zeichen in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn." (Joh 2,11)

Wenn wir also den Begriff "Wunder" biblisch deuten wollen, dann geht es in der ersten Linie gar nicht um das wundersame Ereignis an sich; das ist eigentlich fast Nebensache. Es geht vielmehr um Geschehnisse die dem Menschen etwas von der Absicht Gottes, vom Heilswillen Gottes "zeigen."

Das Zeichen der plötzlichen Weinvermehrung will also nicht sagen, daß Gott immer dort einspringen wird, wo Menschen mit ihrem Latein am Ende sind, sondern es sagt etwas aus über den, der dieses Zeichen tut: Die Menschen sollen erkennen, daß dieser Jesus der Gesandte Gottes ist, der Heiland, der Messias. Einmal gesetzt ruft dieses Zeichen immer wieder zur Entscheidung und muß nicht ständig neu wiederholt werden.

 

Wunder im kirchlich-alltäglichen Sprachgebrauch

Wenn im kirchlichen Bereich (von den Gläubigen und auch von vielen Priestern) von Wundern gesprochen wird, dann meist nicht mit wissenschaftlicher Qualität sondern eher mit viel Emotion und der Suche nach Rechtgläubigkeit. Es würde den Rahmen eines Abends sprengen, die Erklärung zu versuchen, warum Wunder für viele Gläubige viel wichtiger sind und einen völlig anderen Stellenwert haben als für die Theologie und die Theologen. Interessant aber ist die Beobachtung – z. B. in Fernsehdiskussionen über dieses Thema – daß die Zahl der Theologen, die die Historizität der meisten in der Bibel überlieferten Wunder bestreiten, offenbar steigt. Und das von der simplen Feststellung her, daß viele Dinge, die früher nicht erklärbar waren, heute erklärt werden können. Niemand wird heute z. B. noch ernsthaft sagen: "Gott schimpft..." wenn wir den Donner eines Gewitters hören. Wir kennen um den Zusammenhang der in den verschiedenen Luftschichten sich entladenden Spannungen. Und wenn jemand uns heute mit der alten bis in unser Jahrhundert überlieferten Redeart käme und darauf bestände, daß Gott im Gewitter zu uns Menschen spräche, dann würden wir nicht wenig schmunzeln.

Dementsprechend können wir dann den Blitzeinschlag in ein Haus oder eine Scheune eigentlich auch nicht mehr als Strafe Gottes bezeichnen. Zumal das immer schon schwierig war. Denn Blitze trafen auch die Häuser der Gerechten, und wenn so etwas passierte half man sich mit der Deutung, daß in der betroffenen Familie wohl ganz bestimmt eine der Öffentlichkeit nicht bekannte Sünde herrsche. Damit wurde die ganze Sache sehr schnell auch lieblos. Zumal Jesus diese Dinge ganz nüchtern sieht wenn er sagt: "Gott läßt regnen über Gute und Böse und seine Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte.

Wenn wir uns dann die wissenschaftlichen Hintergründe eines Gewitters klar machen, dann müßte nun aber auch jedem klar sein, daß ein Gebet um die Verschonung vor einem Blitzeinschlag – wie es noch in meiner Kindheit üblich war – zumindest recht fragwürdig ist. Und erst recht besteht kein Zusammenhang zwischen einem Blitzeinschlag und der Tatsache, ob nun eine Familie während eines Gewitters weitergegessen hat oder die Mahlzeit unterbrach und eine schwarze Gewitterkerze anzündete.

Aber, so schreibt dazu der Theologe Josef Haunauer in seinem Buch "Wunder oder Wundersucht?":

"Der Fortschritt auf wissenschaftlichem Gebiet führt offenbar nicht dazu, daß die Menschen fähig werden, kritischer zu denken und zu urteilen. Leichtgläubigkeit und Kritiklosigkeit sind in unserer Zeit nicht weniger verbreitet als früher. Diese Feststellung gilt für den profanen so gut wie für den religiösen Bereich. Wir brauchen bloß an die Vielzahl der Formen des Aberglaubens zu denken. Auf religiösem Gebiet ist die Flut angeblich übernatürlicher Offenbarungen, die sich über die Menschheit ergießt, nicht mehr zu übersehen. Eine ganze Palette von Wunderphänomenen bietet sich dar: Statuen bewegen sich in ihren Nischen; himmlische Gestalten schweben über Bäumen; der Teufel verfolgt nächtlicherweise fromme Seelen; neue Offenbarungen, deren Inhalt häufig aus Drohbotschaften besteht, werden empfangen; Bilder weinen; Maria erscheint Kindern, denen sie Geheimnisse anvertraut, die sie nicht verraten dürfen; die Erscheinungen werden durch angebliche Wunder, namentlich durch Krankenheilungen, als echt bewiesen.

Die Häufung »wunderbarer« Ereignisse und der Glaube daran mag vielleicht Ausdruck einer rein natürlichen Frömmigkeit sein. Doch mögen noch so viel Christen sich solchen Dingen gläubig oder sogar fanatisch zuwenden, Beweise christlicher Frömmigkeit sind sie nicht. Sie nützen nicht dem christlichen Glauben, sondern sie liefern jenen Material, die im Christentum, insbesondere in der katholischen Religion, Reste und Nachwirkungen heidnischen Aberglaubens zu finden glauben.

Natürlich erweisen sich »wunderbare Erscheinungen« auch als Nützlich, aber nicht für den christlichen Glauben, sondern für manche "Gläubige", namentlich an Erscheinungsorten, und für die Verlage, die sich auf die Veröffentlichung von Wundermären aller Art spezialisiert haben und die sich um den Absatz ihrer Ware nicht zu sorgen brauchen.« (S. 7f)

 

Die Häufung von Marienerscheinungen

in den letzten 200 Jahren

Ungefähr seit Beginn des 19. Jahrhunderts hat die Marienverehrung einen großen Auftrieb erhalten. Dabei fällt auf, daß die biblische Begründung stark in den Hintergrund getreten ist; den eigentlichen Anstoß bilden fast nur mehr die sich häufenden »Marienerscheinungen«. Besonders häufig sind solche im 20. Jahrhundert geworden. Zwischen 1930 und 1950 sind allein in Westeuropa von kirchlichen Behörden nicht weniger als 30 Reihen von Muttergotteserscheinungen mit insgesamt etwa 300 Einzelerscheinungen, die Kindern zuteil geworden sein sollen, untersucht worden. Um 1975 hat ein Sekretär der Päpstlichen Kurie gesagt: »Es gibt 200 fast ausschließlich weibliche Visionäre in Italien, die behaupten, die Madonna zu sehen und Botschaften zu empfangen. Wo kämen wir hin, wenn wir sie alle ernst nähmen«. Wo liegt der tiefere Grund für die in unserem Jahrhundert sich häufenden Marienerscheinungen? Sie sind nichts anderes als Folge und Ausdruck eines marianischen Tropenklimas, wie es in Südamerika schon lange zu beobachten ist. Prälat Straubinger hat aufgrund eigener Erfahrung im Jahre 1937 seinem Freund Otto Karrer über die Auswüchse der Marienverehrung berichtet: »Ganz verheerend sind die Erscheinungen. Während im Mittelalter und bis zu Margareta Alacoque Jesus erschien, erscheint jetzt fast nur noch die Muttergottes, und zwar in einer derart aufdringlichen Weise, daß sie für sich neue Kirchenbauten und neue Ehren verlangt und dem Papst durch Kinder Botschaften schickt. Das ist verdächtig. Eine heilige Person verlangt doch nicht Ehren für sich. Ich glaube daher, daß die Muttergotteserscheinungen, die jetzt so großes Furore machen, nicht von der Muttergottes und nicht von Gott sind, schon deshalb, weil sie typische Schauwunder sind. Ich kann mir nur denken, daß das Ziel dabei die Zurückdrängung des Glaubens an Christus ist. Maria soll im Volk so erhöht werden, daß Christus immer mehr in den Hintergrund tritt und aus der Christusreligion eine Marienreligion wird! Das ist weitgehend erreicht, wie ich in Südamerika gesehen habe. Dort macht Maria alles, aber auch alles. Sie ist dort allmächtig im vollsten Sinne des Wortes. Gott hat alle Macht an sie abgetreten, und Christus existiert für viele nur noch in der Hostie«.

(J. Haunauer S. 85f)

Ein kritischer Blick selbst auf kirchlich anerkannte Erscheinungsorte und Wunderberichte scheint diese Vermutung zu unterstützen.

 

Einige Thesen zum weiteren Bedenken

1. These: Gott sah, daß es gut war...

Im Schöpfungsbericht lesen wir den Satz: "Gott sah, daß es gut war, was er geschaffen hatte." Der biblischen Autor, auf den dieser Satz zurückgeht, drückt damit seine feste Glaubensüberzeugung aus, daß die Welt, die Schöpfung, so dem Willen Gottes entspricht und ein gelungenes Werk ist.

Wenn wir von der sog. "Vertreibung aus dem Paradies" reden, dann ist damit nicht die Schöpfung an sich gemeint. Wir können nicht sagen, daß die Welt, wie wir sie kennen, mit Krankheit, und Unglücksfällen, Katastrophen u.s.w. eine Frucht der Sünde, das eben "verlorene Paradies" sei.

Darüber hinaus muß festgehalten werden, daß die Bibel den Ausdruck "Paradies" überhaupt nicht verwendet; sie spricht vom Garten Eden, in dem die Menschen bis zum Sündenfall leben durften.

Also auch dieses "Paradies" hat die gleichen Naturgesetze gekannt, wie wir sie kennen. Auch der Garten Eden hatte in sich die Anlage zu Überschwemmungen oder Vulkanausbrüchen. Nur eben wären die Menschen, die dort in der durch keine Sünde gestörten Gemeinschaft mit Gott lebten mit diesen Grenzsituationen besser zurecht gekommen, sie hätten keinen Grund, nicht einmal die Möglichkeit gehabt, an ihrer Situation zu verzweifeln.

2. These: Was gut ist kann nicht verbessert werden...

Wenn wir so die Schöpfung verstehen lernen, daß sie gut ist, auch wenn manche ihrer Erscheinungsformen und Wirkformen sich scheinbar gegen mich stellen, mich in meinem Leben vielleicht gar bedrohen, dann besteht keine Notwendigkeit, daß Gott immer wieder in den Handlungsablauf der Natur eingreifen und die Naturgesetze korrigieren müßte. Dann ist es vielmehr wichtig, wieder zu lernen, mit Gott zu leben, die Kluft, die die Sünde zwischen ihn und mir geschlagen hat und immer wieder schlägt zu überwinden. Deshalb spricht Jesus immer wieder von der Umkehr auf der Seite des Menschen und von der Vergebung der Sünden auf der Seite Gottes.

Die Wunder/Zeichen, die Jesus wirkte, sollen hinweisen auf seine Vollmacht, Sünden zu vergeben; ganz deutlich im Wunderbericht von der Heilung eines Gelähmten.

Wenn ich Jesu Botschaft so annehmen kann, dann kann ich auch sprechen, wie Dietrich Bonhoeffer es in seinem Neujahrslied geschrieben hat: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, / erwarten wir getrost, was kommen mag. / Gott ist bei uns am Abend und am Morgen / und ganz gewiß an jedem neuen Tag."

Er konnte so über Gott sprechen, obwohl er wußte, oder zumindest ahnte, daß er die Freiheit nie wiedererlangen würde.

3. These: Das Wunder durchbricht nicht die Naturgesetze

Wenn ich die alte Überzeugung des Aurelius Augustinuns (5. Jhd.) akzeptieren kann, daß ein Wunder, also Gottes Wirken und vielleicht auch konkretes Eingreifen in dieser und diese Welt die Naturgesetze nicht durchbricht sondern nur die uns bekannten Naturgesetze, dann hat das auch Wirkungen auf meine Erwartungen, daß ein Wunder geschehen soll. Dann macht es eigentlich keinen Sinn, um ein Wunder zu beten, sondern eher darum zu beten, daß Gott die Menschen mit der Kraft seines Geistes erleuchtet, die als Ärzte oder Wissenschaftler sich um die Lösung eines Problems oder die Heilung einer Krankheit bemühen.

(In der Folge heißt das: Je mehr wir über die Natur erfahren, desto weniger wird uns als Wunder erscheinen.) Es ist wichtig, die Schöpfung als solche als das große Wunder Gottes zu betrachten zu lernen.

4. These: Ich muß mich auf die Zuverlässigkeit der Naturgesetze verlassen können...

Es ist notwendig für unser Leben, daß wir uns auf die Gültigkeit der Naturgesetze verlassen können. Wenn ich morgens aufstehe, muß ich mich darauf verlassen können, daß das Gesetzt der Schwerkraft gilt: Ich muß die Pantoffeln finden da, wo ich sie am Abend hingestellt habe; sie dürfen nicht plötzlich irgendwo im Raum herumschweben; das Wasser muß aus dem Wasserhahn nach unten fließen, sonst geht es mir wie Raumfahrern, die die herumschwebenden Wasserblasen mit dem Mund in ihrer Kapsel auffangen müssen... Wenn aber Gott an allen möglichen Stellen die Naturgesetze außer Kraft setzen würde, hätte ich in diesem Punkt keine Verläßlichkeit; für Forscher oder Wissenschaftler würde dies bedeuten, daß sie ihre Forschungen in den Wind schreiben können, weil ihre Ergebnisse keinen Aussagewert hätten.

5. These: Gott will Heil durch Menschen wirken

Vielleicht kennen Sie das Bild eines im Krieg zerstörten Kreuzes, an dem ein Christus hängt, der keine Arme, Hände und Füße hat. Unter diesem Kreuz ist eine Schrift angebracht: Ich habe keine Hände als Eure Hände...

Unerklärliches, Krankheiten und dergleichen sind eine Herausforderung an den von Gott geschenkten Verstand (Forschungsdrang) des Menschen, um diesen Verstand dem Dienst am Mitmenschen zukommen zu lassen.

5. These: Krankheiten, Katastrophen, Unglücksfälle sind keine Strafe Gottes; Heilung ist keine Belohnung für treuen Glauben.

6. These: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!"

Was bedeutet der Auftrag Jesu an seine Jünger "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!" auch im Zusammenhang mit der kirchlichen Beauftragung von Männern und Frauen (besonders durch die Weihe), wenn Christus (oder Gott-Vater – wer eigentlich?) immer wieder andere sendet, die eine vermeintlich authentischere Botschaft bringen?

Erscheinungen himmlischer Wesen haben doch keinen Sinn, keine Notwendigkeit, weil Gott zu allen Zeiten Menschen als seine Boten sendet und für alle Zeiten sein Ewiges Wort, nämlich Christus, in die Welt gesandt hat.

Das Johannesevangelium beginnt mit den Worten: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott..." – Welche Bedeutung haben die Worte vermeintlicher Erscheinungen.

7. These: Es geschehen auch heute noch Wunder, die von der Bibel als echt bezeugt werden:

  • die Sakramente, das Wunder der Eucharistie...

  • daß Gott durch Menschen an Menschen und in der Welt handelt...

  • daß Menschen durch die Kraft des Glaubens Fähigkeiten, Ideen oder Kräfte entwickeln, zu denen sie aus eigener Kraft nicht fähig werden...

  • Wenn Menschen sich der Botschaft zur Umkehr öffnen, können sie frei werden für die Signale ihres Körpers, sodaß sie heilen....

  • Der Glaube macht die Menschen heil! Auch der kranke Mensch kann "heil" sein....

Das sind die Wunder, an die ich glauben kann!

 

Was bedeutet das für mein Beten?

Wenn ich Wunder und Wundererwartungen im besprochenen Sinn verstehe bedeutet das für mein Beten, was mir das Vater-Unsers vorgibt, jenes Gebet, daß Jesus den Jüngern als das Gebet schechthin hinterlassen hat.

Mein Beten und Tun soll:

  • den Namen Gottes verherrlichen,

also Gott loben und preisen. Mein Gebet muß also in erster Linie von Lob und Dank und weniger von der Bitte bestimmt sein.

  • zum Durchbruch des Reiches Gottes in dieser Welt beitragen;

nicht einzelne Wunder schenken der Welt das Heil sondern die Tatsache, daß immer mehr Menschen nach dem Willen Gottes zu leben versuchen und daran arbeiten, daß Gottes Reich unter uns lebendig wird.

  • den Willen Gottes, d. h. den Schöpfungsplan Gottes als gut auch für mich anerkennen und zur Geltung kommen lassen;

zu sagen "Dein Wille geschehe!" darf dabei kein Akt einer sklavischen Unterwerfen sein, etwa in dem Sinn, daß ich sage: "Mir bleibt ja sowieso nichts anderes übrig." Es bedeutet vielmehr anzuerkennen, daß der Wille Gottes Heilswille auch für mich ist; daß in dem, was geschieht, sein Heilswille für die Welt zur Geltung kommt; daß selbst das, was mir zunächst als Unglück begegnet, mir trotzdem das Heil nicht nehmen kann.

  • nicht um Glück bitten, sondern um das, was ich und andere zum Leben brauchen;

wie selsbtverständlich nehme ich an, daß ich genug zu eseen habe, Kleidung, ein Dach über dem Kopf... Um mehr als um dies zu bitten, was nicht einmal alle Menschen haben, ist fast hoffärtig...

  • darum bitten, daß meine Schuld mir überhaupt erst bewußt wird;

denn durch meine Schuld gegenüber anderen Menschen mache ich die Botschaft des Reiches Gottes unglaubwürdig; die Vergebung der Schuld ermöglicht mir dann aber auch einen Neuanfang, sodaß die Kluft zwischen meinem Mitmenschen und mir, zwischen mir und Gott überwunden werden kann und das Heil (nicht: Glück !) neu in meinem Leben aufleuchten kann.

Das schließt natürlich die Bereitschaft zur Vergebung anderen gegenüber ein...

  • dem dienen, daß das Böse (nicht: Übel !, nicht: Unglück !) in der Welt abnimmt und das Gute siegt!

 

 

(C) 2002 Heribert Ester


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