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1.
Die Situation
Die Tatsache, daß heutzutage Menschen in nichtehelichen Gemeinschaften
zusammenleben, zeigt sich in allen Lebensbereichen, in der Stadt genauso
wie auf dem Land, im hochhaus genauso wie im Zweifamilienhaus. Die
Tatsache ist im allgemeinen weitgehend akzeptiert, wird allerdings im
kirchlichen Raum als besonders schmerzlich empfunden.
Weil mittlerweile auch viele Priester und sogar Bischöfe von diesem
Problem betroffen sind und in der eigenen Familie Verwandte haben, die in
nichtehelicher Gemeinschaft leben, wird dieser Zeiterscheinung von seiten
der Kirche menschlicher begegnet als vor Jahren.
Grob geschätzt läßt sich sagen, daß etwa 1/3 der jungen Menschen in
nichtehelicher Gemeinschaft zusammenleben, wobei allerdings in Nordeuropa
ein Nord-/Südgefälle festzustellen ist. Im sozialen Umfeld werden solche
Gemeinschaften immer mehr geduldet oder gebilligt.
Interessant ist das Phänomen, daß zunächst tolleriert wurde, wenn
ältere Paare (Rentner) zusammenzogen. Verständlich ist diese
großzügige Haltung vielleicht vor dem Hintergrund, daß in solchen
Fällen die Sexualität im Zusammenleben außerhalb der Vorstellung lag.
Dagegen kann ja gerade bei jungen Paaren die geschelchtliche Gemeinschaft
eben nicht ausgeklammert werden.
Man kann in etwa sagen, daß nach ca. drei Jahren für solch junge
Paare der Punkt, an dem ihre Situation eine Entscheidung von ihnen
fordert, die dann oft in der Eheschließung mündet. In diesen Fällen ist
solches Zusammenleben ein vor-eheliches Stadium, das mit dem Begriff »Ehe
auf Probe« nicht gerade glücklich aber doch greifbar umschrieben werden
kann.
Die Eheschließung ist also in den meisten Fällen das Ziel solchen
Zusammenlebens.
Eine »Ehe ohne Trauschein« ist also nur einer ganz kleinen Gruppe
zuzuschreiben, die bewußt eine »Alternative« zur Ehe suchen will.
2. Hintergründe
Warum ist es gerade heute schwierig, Ehe zu leben?
- Im Gegensatz zu früheren Zeiten lebt die Ehe heute weitgehend
allein von der Beziehung der Eheleute, von der gegenseitigen Liebe der
Partner.
- Aufgrund der heutigen menschlichen Isolierung des Einzelnen wir die
Ehe auch immer weniger als Institution empfunden.
- Während früher »in eine Familie eingeheiratet« wurde, wird heute
aus der Familie »heraus-geheiratet«, wobei auch der Dreiklang »Tadition
– Sitte – Glaube« keine oder kaum noch Hilfe für eine
neugeschlossene Ehe bieten kann.
- Im Unterschied zur »familiären« Ehe sind junge Paare heuteauf dem
Weg zur »partnerschaftlichen« Ehe.
- Als ein weiterer Grund ist zu nennen: Jede dritte Ehe in
Westdeutschland bleibt auf der Strecke.
- So wachsen junge Menschen in der Mentalität ihrer Eltern auf: Wenn
es nicht mehr klappt, lassen wir uns scheiden.
- Dabei reichen etwa zwei von drei Scheidungen die Frau ein. Nur sehr
wenige Scheidungen werden von beiden Partnern einvernehmend
eingereicht.
- Genau diese Tatsachen haben auch ihre Auswirkung auf das
nichteheliche Zusammenleben junger Menschen, denn auch in diesen
Fällen ist das Auseinandergehen der jungen Paare nur selten der
Wunsch beider Partner.
- Ferner kommen heutzutage ja schon sehr viele junge Menschen aus
zerbrochenen Ehen und haben in beinahe traumatischer Weise
Unfähigkeit zu gelebter Partnerschaft erlebt. Von daher kann man
sagen, daß beinahe eine Angst vor einer lebenslangen Beziehung
besteht, wogegen sich die jungen Menschen das Scheitern einer
nichtehelichen Bindung als nicht so tragisch vorstellen.
- Junge Menschen, die heute heiraten, sind wahrscheinlich die erste
Generation, die in der Ehe alt werden können; die Goldene Hochzeit
könnte die Regel werden, weil die Menschen heute im allgemeinen sehr
viel älter werden als vor Jahrzehnten.
- Oft aber stirbt heutzutage die Partnerschaft zu einer Zeit, wo
früher einer der Partner starb.
- Auch hat sich der Verlauf einer Ehe, des Ehe- und Familienlebens im
Vergleich zu früher sehr geändert:
- Männer heiraten durchschnittlich im Alter von 25 Jahren, Frauen im
Alter von 22 Jahren.
- Im Durchschnitt 3 Jahre bleibt die Ehe zunächst kinderlos.
- Das Durchschnittsalter der Eltern liegt für die Väter bei 29
Jahren, für die Mütter bei 26 Jahren.
- Da die Kinder das Elternhaus zwischen den 20. und 25. Lebensjahr
verlassen, werden in Zukunft viele Eheleute bei ihrer Silberhochzeit
wieder kinderlos sein. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung
der Männer von 69 Jahren und der Frauen von 75 Jahren heißt das,
daß die Eheleute nun für ca. 20 Jahre »mit sich selbst« zurecht
kommen müssen.
- Als weiteres Moment der Erschwernis für junge Menschen heute ist
die Tatsache zu nennen, daß in einer sich verschärfenden
Diasporasituation des Christentums es für junge Christen immer
wahrscheinlicher wird, einen anderen lieben zu lernen, der mit Glaube
und Kirche nichts (mehr) zu tun hat oder haben will. Und diese
Schwierigkeit muß man vor dem Hintergrund bedenken, daß sie erleben,
wie auch nichtgläubige Menschen glücklich sein/werden können.
3. Motive
Als Motive für nichteheliches Zusammenleben junger Paare sind einige
Punkte zu nennen, die auch als schlagwortartige Gründe zu hören sind:
- »Wir lieben uns! – Das geht niemanden etwas an.«
Positiv an dieser Haltung ist: Der Stellenwert der Liebe ist sehr
hoch und ist die Grundlage dieser Beziehung, die auf den anderen
ausgerichtet ist.
Auch hier ist anfanghaft der Versuch zu finden, diese Beziehung auf
Dauer anzulegen.
Kritisch ist anzufragen, ob nicht eine solche positive Verbindung
einmünden muß in eine öffentlich dokumentierte, eindeutige
Verbindlichkeit.
- »Wer unverheiratet zusammenlebt, ist dem Partner gegenüber stets
neu zur Werbung um den anderen verpflichtet.«
Positiv festzustellen ist das stetige Bemühen des einen um den
anderen, im Gegensatz zu manch leer gewordenen Ehe.
Kritisch anzumerken ist, daß es nicht an der (Institution) Ehe
liegt, wenn die Liene leer wird, sondern an den Menschen, die ihre Liebe
(gleich mit oder ohne Ehe) leer werden ließen.
- »Jetzt lieben wir uns. Aber ob wir uns in fünfzehn Jahren noch
lieben...?«
Positiv ist die ernsthafte Frage an die gemeinsame Zukunft und die
Sorge um die gemeinsame Zukunft.
Kritisch anzumerken ist, daß die Ehe immer gelebtes Abenteuer ist,
dessen letztes Risiko nicht einfach übersprungen werden kann. Ein
schottisches Sprichwort sagt: Wenn wir heiraten, übernehmen wir ein
versiegeltes Schreiben, dessen Inhalt wir erst auf hoher See erfahren.«
So kann man Treue damit umschreiben, daß man sich stets neu auf
Entdeckungsreise begiebt, bei dem anderen Neues und Liebenswertes zu
entdecken und ihn an sich neu entdecken zu lassen.
- »Wer später einmal heiraten will, sollte diese Gemeinschaft
zunächst erst proben.«
Positiv ist der hier geäußerte hohe Stellenwert der Ehe und das
hohe Verantwortungsgefühl junger Menschen, die sich hier bewußt für die
Ehe prüfen wollen.
Kritisch zu bemerken ist, daß der Begriff der Liebe solch einer
Probe entgegensteht: Lieben heißt, ein unbegrenztes Ja zu sagen zu einem
anerkannt begrenzten Menschen. (Neysters) Denn letztlich wird bei der
»Ehe auf Probe« nicht die Ehe auf Probe gestellt sondern der andere
Mensch. Und hier liegt eine Gefahr, denn wie kann ich an einem
Menschen etwas Neues, Liebenswertes entdecken, den ich auf Gegenseitigkeit
»gemietet« habe.
Eine junge Frau sagte auf einer Tagung zu diesem Thema: »Wir lebten ein
3/4 Jahr ohne Trauschein zusammen; dann mußten wir heiraten, nicht, weil
wir ein Kind erwarteten, sondern, weil wir uns Letztes schuldig geblieben
sind.« (Neysters)
4. Reaktionen
Warum sind gerade soviele ältere Menschen von diesem Verhalten junger
Menschen entsetzt, warum soviele Eltern verunsichert?
Um diese Frage beantworten zu können, muß man sich zunächst einmal
vor Augen führen, daß über Jahrhunderte die Ehe in der Darstellung der
kirchlichen Unterweisung praktisch nur im Zusammenhang mit der Zeugung und
Erziehung von Kindern gesehen wurde. Andere Werte, wie Liebe, Vertrauen,
Gemeinsamkeit, das »Wir-Gefühl« zweier Eheleute, Dinge, die einzelnen
Ehepaare wertvoll waren, kamen in der kirchlichen Lehre so gut wie nicht
vor.
Wird der Sexualität in der Ehe solch ein absoluter Stellenwert
eingeräumt, versteht sich von selbst, daß Sexualtät außerhalb der Ehe,
die Ehe selbst in Frage stellt. Deshalb die strenge Beurteilung der
außerehelichen Sexualität als Sünde.
Diese Bewertung liegt vielen von uns noch in den Knochen, nur eben
vielen jüngeren Menschen nicht mehr. Es ist ihnen nicht bewußt, daß sie
in ihrer nichtehelichen Gemeinschaft »in Sünde leben«, und nach dem
traditionellen Sündenbegriff leben sie auch nicht in der Sünde, weil
ihnen die Erkenntnis einer möglichen Sündhaftigkeit fehlt.
Von daher ist das Verhalten junger Menschen, die in nichtehelicher
Gemeinschaft leben, nicht als unmoralisch abzutun und zu bewerten. Der
Moralbegriff hat sich offensichtlich gewandelt und daran trägt die
heutige Jugend keine Schuld.
Wenn wir schon fragen, wer Schuld an dieser Entwickung trägt, dann
müssen wir sagen, daß die Generation der Nachkriegserwachsenen den neuen
Moralbegriff geprägt hat. In diesen Zusammenhang gehören sicherlich auch
die sogenannten Onkel-Ehen, die, wenn sich auch nur vereinzelt vorkamen
und menschlich vertändlich waren, doch eine ganze Generation geprägt
haben.
Irgendwie rümpfte man zwar die Nase (meist doch eher über die
Frauen), aber letztlich wußte man doch nicht, ob man sich selbst in
solcher Situation anders verhalten hätte.
Dazu ist vor dem Hintergrund des deutschen Fiaskos für die Zeit nach
dem Krieg ein allgemeiner Autoritätsverlust zu verzeichnen: Alle Personen
und Institutionen, die einst Autoritäten waren, werden nun kritisch unter
die Lupe genommen. Niemand besitzt Autorität von sich aus sondern muß
sich durch gute Argumente als Autorität erweisen. Dieser
Autoritätsverlust hat auch die Kirche getroffen, und ein Pochen auf alte
Verpflichtungen reicht heute nicht mehr als Argument aus.
5. Perspektiven
Die Ehe hat Zukunft vor dem Hintergrund von drei Lebenswünschen, die
heute jungen Menschen wichtig sind:
- Jemandem etwas zu bedeuten
- Etwas wirken und bewirken zu können und dadurch auch wirksam zu
werden, schöpferisch zu werden (denn typisch für die meisten
nichtehelichen Gemeinschaften ist, daß der Kinderwunsch ausgeklammert
wird)
- Sich »festmachen« zu können; die Ehe als Ort einer gewissen
Lebenssicherheit
5. Pastorale Folgerungen
Was ist zu tun?
Wir müssen mit sensiblem Unterscheidungsvermögen die Situation
betrachten (Lehmann), die gute Gesinnung wahrnehmen und die positiven
Absichten aufgreifen und verstärken.
Wir müssen die verborgenen Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume aber
auch die Ängste, die Zweifel und die mangelnde Zuversicht zur Sprache
bringen; all die Dinge kritisch anfragen, die unter Punkt 3 genannt sind.
Wir dürfen aber nicht zur Entscheidung drängen oder zwingen, müssen
vielmehr Empfinden dafür haben, daß junge Menschen, die vor der
Eheschließung zusammengelebt haben, diese Gemeinschaft nicht als Sünde
empfunden haben (können).
Gefordert ist in jedem Fall das Apostolat, das Beispiel christlicher
Eheleute in dem doppelten Sinn:
- Es hat einen Sinn, sich ein Leben lang an einen Menschen zu binden.
- Dieser Weg ist begehbar.
Deshalb ist es wichtig, daß die Dankgottesdienste aus Anlaß einer
silbernen oder goldenen Hochzeit im Gottesdienst der Gemeinde gefeiert
wird und nicht im engsten Kreis der Familie.
Junge Menschen brauchen vor der Erfahrung der Scheidungsmentalität das
positive Beispiel, daas gerade an solchen Tagen gern aufgefriffen wird.
(C) Heribert Ester 1989 |
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