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Der Alte Mann
und das Feuer

Heribert Ester (C) 1976

Um damit anzufangen, es gibt nichts in der Welt, das zu vergleichen wäre mit einem einsamen Raum oder einer einsamen Wohnung, wo niemand um einen ist. Alles in der Natur ist voll Leben, doch was der Mensch hervorgebracht hat, ist immer tot.

  

Der Alte Mann war stolz, sein Leben immer allein gemeistert zu haben. Er hatte seine Familie durch schlechte und gute Jahre gebracht, und seine vier Kinder waren sein ganzer Stolz. Sie hatten nun ihre eigenen Familien, und so war der Alte Mann ein "lieber Großvater", wie die Briefe sagten. Er war jetzt achtundsechzig Jahre alt, und seine geliebte Frau war seit langem tot. Er war in der Armee gewesen, um sein Bestes für sein Land zu geben. Er hatte nie Schlechtes getan. Er hatte gezahlt, wenn er in Schulden war. Und er hatte Freunde gehabt, doch nun nicht länger.

Der Alte Mann saß in seinem Lehnsessel vor der Feuerstelle, allein, und er war müde, wie jeden Abend. Er beobachtete die Flammen des warmen Feuers und hörte auf die Geräusche und die Musik, die die brennenden Kohlen machten. Da war Leben in dem Feuer, das einzige Leben um ihn herum und das einzige Leben, das ihm sagen konnte: "Ich bin hier, für dich."

Was sollte er tun? Jas konnte er tun? Seine Kinder lebten weit weg, und sie hatten ihre eigenen Familien, kein Platz, keine Zeit, keine Verwendung für einen Alten Mann, nicht einmal für "Großvater".

Der Alte Mann war immer stolz gewesen, sein Leben allein gemeistert zu haben. So sollte es auch mit dem Rest sein.

Die Briefe sagten: "Wir lieben dich! Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder! Gott schütze dich! Halt den Kopf hoch! Du bist das Beste, das wir je haben werden... Worte in königsblauer Tinte auf weißem Papier. Worte der Liebe. Worte des schadenfrohen Lachens für den Teufel, der eine neue Seele näher kommen sieht mit jedem geschriebenen Wort.

Warum war er hier in diesem einsamen Raum, und sie waren dort? Der Alte Mann schloß seine Augen und ging in Gedanken zu seinen Kindern. Er sah, wie unerreichbar sie waren für ihn, wie glücklich sie waren ohne ihn, wie wenig sie denken mußten an ihn.

Und er öffnete seine Augen wieder zur Welt. Er sah die Flammen des Feuers; wie rot waren sie! Und sie waren hier – für ihn.

So dachte der Alte Mann nach, und er brauchte nicht lange:

Bald würde Leben um ihn herum sein, Leben, das die Welt bemerken würde, das die Welt anerkennen könnte. Nicht einfach Flammen, sondern die Zeremonie eines heiligen Desasters. Und danach würde er nicht länger in diesem Raum der Einsamkeit sein, vergessen von der Welt, nicht länger in diesem toten Raum, wo er begann, sich selbst zu vergessen.

Er wußte ganz genau, was er nun tun würde. Er konnte jeden kleinen Schritt klar vor Augen sehen. Er würde das Beste von allem tun, denn warum sollte er sich weiter damit quälen, Teil dieser menschlichen Natur zu sein, nur ein Planet unter Millionen, nicht einmal in Verbindung mit anderen.

So ging der Alte Mann in die Küche und tat, worauf er brannte, es zu tun. Und als er zurück war, wieder in seinem Lehnsessel, konnte er den Duft des Gases riechen. Und er war froh, obwohl er herausgefunden hatte, daß er viel zu früh anfangen würde zu schlafen, und daß er sich nicht mehr bewegen, und nicht mehr würde erleben können dieses heilige Desaster, das er eingeleitet hatte. Doch er würde zumindest noch über einen letzten Scherz lachen: Er war alt, und solch turbulente Szenen würden sicher nicht gut sein für sein schwaches Herz. Er war sich sicher, daß er froh war, es so gemacht zu haben.

Und als der Alte Mann schon lange fest eingeschlafen war, taten sich Feuer und Gas zu einer heiligen Hochzeit zusammen, die der Idee des alten Mannes Leben gab.

Und eine wüste Explosion wurde gehört in der Welt, und die Welt war entsetzt, doch nicht zu beschuldigen.

  

Um damit abzuschließen, es gibt nichts in der Welt, das zu vergleichen wäre mit Einsamkeit. Einsamkeit ist der mächtigste Feind unseres Lebens.

 


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