»Christus lebt weiter
und die Kirche setzt sein Werk fort«
Johannes XXIII.

Von Petra Gaidetzka

Am 3. Juni 1963 starb Papst Johannes XXIII., im Jahr 2000 wurde er seliggesprochen. Er eröffnete der Kirche ein neues Zeitalter – und er verkörperte die Menschenfreundlichkeit Gottes. »In den nur viereinhalb Jahren seiner Regierungszeit«, schreibt sein Biograph Christian Feldmann, »gewann die katholische Kirche ein menschlicheres, einladenderes Gesicht, öffnete sie ihre Tore weit für die Fragen und Nöte der Menschen draußen. 1

Johannes ist unvergessen. Die Älteren unter uns erinnern sich gern an seine menschliche Ausstrahlung. Für die Jüngeren ist er der Papst, der das Zweite Vatikanische Konzil berief und frischen Wind in die staubigen Amtsstuben des Vatikans ließ. Seine Seligsprechung hat das Interesse an ihm neu entfacht. Und das ist gut. Denn dieser Papst hat uns heute noch sehr viel zu sagen. Er setzte sich für eine Kirche ein, die Offenheit übt, nicht dogmatische Starrheit, die Respekt vor der Gewissensentscheidung des einzelnen hat, vor anderen Kulturen und Religionen, die für soziale Gerechtigkeit eintritt und dem Frieden dient. An seinem Sterbetag – es war der Pfingstmontag – wies er die Priester, Ordensschwestern und Ärzte, die sich um ihn versammelt hatten, auf das Kreuz hin: »Schaut, sagte er, diese offenen Arme sind das Programm meiner Amtszeit gewesen. Sie sagen, daß Christus für alle starb, für alle. Niemand ist ausgeschlossen von seiner Liebe ... Meine Zeit neigt sich dem Ende zu, aber Christus lebt weiter und die Kirche setzt sein Werk fort.« 2

Alle in der Liebe Christi umarmen – das ist schwer zu verwirklichen!

Christus lebt weiter, und die Kirche setzt sein Werk fort – durch ihre Verkündigung und ihren Dienst an den Menschen. Johannes sah ihre wichtigste Aufgabe darin, alle »im Licht und in der Liebe Christi« zu umarmen – das schrieb er jedenfalls den Konzilsvätern ins Stammbuch. 3 Nur, wie kann das gelingen? Heute scheint es manchmal, als sei die Kirche vor allem mit sich selbst beschäftigt. Nicht nur »die Amtskirche«, sondern die Christen in den Gemeinden machen sich zunächst und zu Recht Sorgen darum, wie es weitergehen kann, wenn immer weniger Priester für Seelsorge, Sakramentenkatechese, Gottesdienst und Verkündigung zur Verfügung stehen. Gemeinden müssen in Zukunft stärker kooperieren, Laien in die Leitungsverantwortung eingebunden werden. In den Städten werden neue Wege einer »Citypastoral« erprobt, da viele Menschen keinen Bezug mehr zu einer Ortsgemeinde haben und kirchliche Bindung überhaupt scheuen. Wie sieht es aber vor diesem Hintergrund mit dem alltäglichen Dienst am Menschen – vor allem am schwachen, bedürftigen, kranken Menschen – aus? Caritas und Diakonie funktionieren noch gut in unserem Land, aber die in den Einrichtungen und Fachstellen tätigen Menschen merken, daß das Geld knapper, die Personaldecke dünner wird.

Alle in der Liebe Christi umarmen – das klingt gut, ist schön formuliert, aber nur schwer in die Tat umzusetzen! Zu manchen Menschen finden wir kaum einen Zugang, weil sie abweisend wirken, einen uns fremden Lebensstil pflegen, einer anderen Kultur angehören, die Werte in Frage stellen, die uns wichtig sind ... Manche sind von Krankheit gezeichnet, manche leben in einer eigenen Welt. Obdachlose umarmen, Jugendliche, die sich auf der Straße herumtreiben, psychisch Kranke, Sterbende – wer bringt die Kraft und den Mut dazu auf?

Wir sind froh, daß es Menschen gibt, die sich um Angehörige bestimmter Zielgruppen kümmern, Streetworker, Therapeuten, Pflegekräfte in Hospizen, Altenheimen und psychiatrischen Einrichtungen. Und doch, es reicht nicht, ihre Arbeit finanziell und ideell zu unterstützen, wenn wir die Menschen, die zu den verschiedenen »Zielgruppen« gehören, nicht in ihrer Einmaligkeit, ihrer Würde und ihrem Anspruch auf Zuwendung sehen und annehmen!

Zum Papst gewählt, besuchte Johannes XXIII. Krankenhäuser und Gefängnisse. Wie wichtig ihm die Menschen waren, bewies er aber auch in vielen alltäglichen Begegnungen. Er stellte fest, daß die Handwerker, die Reinigungskräfte, die Gärtner des Vatikans äußerst knapp entlohnt wurden, und erhöhte sofort ihre Gehälter; dabei erhielten jene mit dem geringsten Verdienst und die Kinderreichen den größten Zuschlag. Schon als junger Priester hatte er an der Seite der Arbeiter gestanden, die für kürzere Arbeitszeiten und faire Löhne streikten. »Gerechtigkeit geht vor Mildtätigkeit«, sagte er. Sein Begriff von Gerechtigkeit war handfest und politisch: In seiner Sozialenzyklika »Mater et Magistra« zählte er die innerbetriebliche Mitbestimmung zu den grundlegenden Erfordernissen der Gerechtigkeit, ebenso die Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensbesitz. Eindringlich forderte er, daß der wirtschaftliche Fortschritt vom sozialen Fortschritt begleitet werden müsse.

Johannes: in einer Reihe mit den Frauen und Männern der Caritas

Alle in er Liebe Christi umarmen – das klingt fromm und etwas romantisch, aber Papst Johannes hat selbst ernst gemacht damit und Wege gewiesen, die jeder gehen kann. Seine Forderung nach aktiver Solidarität der Reichen mit den Armen, der Industrienationen mit den Entwicklungsländern, der Eliten mit den Benachteiligten ist von großer Aktualität. Beides gehört zusammen:

Barmherzigkeit, wir können auch sagen: Caritas, also Nächstenliebe, und das Engagement für soziale Gerechtigkeit. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit hatten gleichermaßen ihren Platz im Programm dieses Papstes – weil Gott zugleich barmherzig und gerecht ist.

Wir Christen sind mit den Menschen innerlich verbunden, die vor uns den Weg des Glaubens gegangen sind. Wir nennen sie Heilige oder auch »Selige«, wir erbitten ihre Fürsprache für alle, die in materiellen oder seelischen Nöten sind. Papst Johannes ist ein beispielhafter Mensch und Christ gewesen, er steht in einer Reihe mit den ,Frauen und Männern der Caritas, mit Vinzenz von Paul oder Mutter Teresa. Es ist gut, solche Vorbilder zu haben.

 

1 Feldmann, C., 2000: Johannes XXIII., Freiburg-Basel-Wien (Herder), 15
2 Feldmann, 2000: 187
3 Feldmann, 2000: 172

 

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Der Beitrag ist erschienen in der Zeitschrift
»Gottes Wort im Kirchenjahr« 2/2002, S.  213f
Verlag Echter, Würzburg

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