Der
»gute« Papst Von Heribert Ester
Wer weiß noch, was am 3. Juni 1963 geschah? Übrigens,
es war damals der Tag nach dem Pfingstfest. Um es noch etwas spannend zu
machen: Gehen wir fünf Jahre zurück in das Jahr 1958. Da starb in
Castell d'an Golfo Eugenio Pacelli, der vormals – in der Zeit nach der
Machterschleichung durch die Nazis – päpstlicher Nuntius in Deutschland
gewesen war und bald darauf zum Papst gewählt wurde. Er nannte sich Pius,
und er war der zwölfte mit diesem Namen.
Ihm folgte ein Bauer, wie die Männer der Kurie damals hinter
vorgehaltener Hand sagten. Und das war durchaus abwertend gemeint.
Tatsächlich stammte er aus einer bäuerlichen Familie. Angelo Roncalli.
Eine Notlösung bei der Papstwahl 1958. Er war bereits 77 Jahre alt, als
er am 28. Oktober beim elften Wahlgang gewählt wurde. Er wählte den
Namen Johannes. So wurde er der zweite Papst, der diesen Namen mit dem Zählzusatz
»der XXIII.« trug. Seit dem Mittelalter schon hatte kein Papst mehr
diesen Namen gewählt, weil der erste Johannes XXIII. einer der Gegenpäpste
war, der nicht in der legitimen Sukzessiven des heiligen Petrus stand.
Elf Wahlgänge brauchte es, ihn zum Papst zu wählen. Eigentlich sollte
der Protegier Pius' XII. zum Papst gewählt werden, Guiovanni Battista
Montini, aber der fand damals keine Mehrheit, und so wurde er erst 1963
gewählt und nannte sich Paul VI.. Als ein besorgter Kurienkardinal noch einmal versuchte, Johannes XXIII. den Gedanken auszureden – »Wozu denn ein Konzil, Euer Heiligkeit?« – ging der Papst zum Fenster, und öffnete es: »Um frischen Wind hereinzulassen!«
»Papa Buono« nannten ihn die Römer: den »guten Papst«. »Johnny
Walker« nannten ihn die Sicherheitsbeamten des Vatikan, nicht etwa weil
er dem Whiskey zugesprochen hätte, sondern weil es ihm immer wieder plötzlich
in den Sinn kam, dieses oder jenes Krankenhaus zu besuchen, oder irgend
ein Gefängnis. Er ließ den Bahnhof des Vatikan wieder öffnen und fuhr
in sein Bistum. Er sprach mit den Gärtnern des Vatikan, die es noch von
Pius XII. gewohnt waren, unsichtbar zu werden, wenn der Papst in die Nähe
kam.
Er hat das Fenster der Kirche aufgestoßen. Die Zeichen der Zeit
wahrzunehmen, nannte er das. Und die Aufgabe des Konzils umschrieb er mit
dem Begriff »Aggiornamento«, der sich nur schwer in die deutsche
Sprache übersetzen läßt, am besten noch mit einem Wort, das es gar
nicht gibt: Verheutigung. Es ging ihm darum, daß die Kirche in der Welt
von heute zu Hause ist. Nicht also die Welt muß sich auf die Kirche
zubewegen.
Erst heute weiß man, wie sehr die Kurie die Arbeit des Konzils
behinderte. Und mit dem Tod Johannes XXIII. war nach dem Kirchenrecht auch
das Konzil automatisch beendet. Viele in der Kurie atmeten auf. Doch der
Geist von Pfingsten ist wie ein mächtiger Sturm, wie ein Feuer, das sich
nicht löschen läßt, wie eine Zunge, die sich nicht verbieten läßt.
Was ist uns von diesem Geist des Konzils geblieben? Von manchen jüngeren
Geistlichen werden die Liturgie in der Muttersprache, der zur Gemeinde
gewandte Altar oder die Handkommunion längst schon wieder in Frage
gestellt. Komisch! Wie kommt das? Vieles scheint zum Stillstand gekommen
zu sein. Aber vielfach scheinen die Menschen einfach
stehengeblieben zu sein.
Immerhin: im Januar 2000 kündigte Papst Johannes Paul II. die
Seligsprechung für Johannes XXIII. an, und am 3. September folgte dann
tatsächlich die von vielen langersehnte und als längst überfällig
erwartete Seligsprechung. Als sein Gedenktag wurde der 11. Oktober
festgelegt, der Tag der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils. Seit seiner Seligsprechung ruhen seine Reliquien in einem gläsernen Reliquienschrein im Petersdom unter dem Altar des Heiligen Hieronymus. In seinem frei gewordenen Grab wurde am 8. April 2005 Papst Johannes Paul II. beigesetzt.. Am 5. Juli 2013 teilte der Heilige Stuhl mit, dass Papst Franziskus das für eine Heiligsprechung erforderliche Konsistorium einberufen wolle. Papst Franziskus habe die Absicht, in diesem Verfahren davon zu dispensieren, dass es - zu dem für die Seligsprechung anerkannte - ein weiteres als das Wunder geben müsse, das auf Fürsprache des Heiligen bewirkt wurde. Im Konsistorium vom 30. September 2013 erteilte Papst Franziskus dann die entsprechende Dispens. So wurde Johannes XXIII. am 27. April 2014, dem Weißen Sonntag, gemeinsam mit Johannes Paul II. von Papst Franziskus heiliggesprochen. An der feierlichen Zeremonie auf dem Petersplatz nahm in Anwesenheit von rund einer Million Menschen neben vielen Kardinälen, Bischöfen und Priestern auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. teil. Das Beispiel und Wirken dieses Papstes macht immer noch Mut. |