5. Sonntag im Jahreskreis:   
Abersüchtig    

Sie kennen das aus Diskussionen und Unterhaltungen. Bei Gesprächen am Kaffeetisch mag es ja noch harmlos sein, aber wenn es darum geht, wirkliche Entscheidungen zu treffen, ist es oft höchst brisant: Menschen tauschen ihre Meinungen und Sichtweisen aus, Argumente werden angesprochen, und dann kommt plötzlich von einem der Gesprächsteilnehmer das alle Diskussion vernichtende "Ja-Aber"! Und auf den Satz hinter dem "Aber" kommt es schon gar nicht mehr an. Denn bereits das "Aber" zerschlägt alle guten Argumente. "Ja-Aber" – das heißt doch: Ja, du hast Recht, aber ich will es trotzdem nicht so machen, wie du es sagst.
Im Neuen Testament ist relativ häufig von Dämonen die Rede. Der moderne Mensch tut sich schwer mit der Vorstellung, daß ein Teufel in einen Menschen einfahren und mehr Macht über diesen Menschen ausüben kann als die von Gott geschaffene Seele. Auch ich kann mir das nicht vorstellen. Wohl aber weiß ich, daß es das Böse in der Welt gibt, und es kommt vom Menschen, die – wie besessen – Macht über andere ausüben wollen. Jede Sünde läßt sich zurückführen auf die Sucht nach Macht. Der Neutestamentler Fridolin Stier übersetzt die Dämonen im Neuen Testament mit dem "Abergeister". Abergeister sind Menschen, die jedem guten Gedanken, jeder guten Tat, jedem guten Wort ein "Aber" entgegensetzen. Wenn die Bibel von Dämonen spricht, dann sind hier nicht irgendwelche dunklen Mächte gemeint, die in einen Menschen hineinfahren, sondern die Menschen selbst, die besessen sind von ihrer Aber-Sucht und erst frei werden, wenn das letzte Aber aus ihnen herausfährt.
Aber das gilt natürlich nur von den anderen.

 


(C) 2003 Heribert Ester