Allerseelen:   
Begegnung    

Die meisten von Ihnen werden, wenn sie diese Zeilen lesen, den Allerseelengang zum Friedhof wahrscheinlich noch vor sich haben. Welches Gefühl erfaßt Sie, wenn Sie an dieses alljährliche Ritual denken. Ist es Ihnen ein echtes Anliegen oder lästige Pflicht? Brechen vielleicht alte Wunden erneut auf? Die Wunden echter Trauer oder gar Wunden der Verletzung durch den, der dort begraben liegt?
Friedhof nennen wir den Ort, wo wir unsere Toten begraben. Ein Ort des Friedens soll es also sein. Ein Zwiespältiges Wort, wenn man sich vor Augen führt, wie viel Unfriede von manchen, die dort begraben sind, zu Lebzeiten ausgegangen ist.
Von jenem alten Ritus, daß die nächsten Angehörigen das Grab mit dem Sarg zuschaufeln, um deutlich zu machen, daß nun der Rechtsanspruch aber auch die Verpflichtung der Erben beginnt, ist nur noch das Aufwerfen von etwas Erde auf den Sarg geblieben. Aber als Priester kann man hin und wieder noch spüren, wieviel Befreiung selbst hinter diesem verkümmerten Ritus manchmal steckt. Und niemand als diese beiden und ihr Herr und Schöpfer weiß, welche Wunde hier endgültig begraben wird. Und genau das soll dieser Ritus bezeichnen: die Endgültigkeit. Das Grab soll Friede schenken, zum Hof des Friedens werden. Friede für den der wieder nach Hause gehen darf, aber auch Friede für den, dessen Leib im Schoß der Erde zurückbleibt. Daß dieser Friede möglich wird, auch darum beten wir am Allerseelentag.


(C) 2002 Heribert Ester