24. Sonntag im Jahreskreis:   
Künstlerische Freiheit   

Es gibt schon Kunstwerke, die zwar sicherlich ausdrucksstark gestaltet sind, vor denen man als Betrachter aber dann doch mit fragenden Augen steht, weil das, was man sieht, nicht auf Anhieb ausdrückt, was der Künstler sich gedacht hat. Das 20. Jahrhundert gilt im Besonderen als das Zeitalter der modernen und der abstrakten Kunst. Manchmal hört man einen Betrachter sagen: "Sowas hätte ich auch hinbekommen!" Wobei anzumerken bleibt, daß das "hätte" hier eben den Unterschied macht, denn die Idee ist der Ursprung. Andere sagen: "Ich hätte das ganz anders gemacht." Und dieser Gedanke ist gar nicht so neu. Denn bei der Restaurierung vieler Kunstwerke in den letzten Jahrzehnten fiel auf, daß Bilder später übermalt, Skulpturen mit einer anderen Farbfassung versehen oder Kirchenausmalungen einfach übertüncht oder nach der jeweiligen Mode neugestaltet wurden. Meint "künstlerische Freiheit" heute, daß es einem Künstler frei ist, seinen Gedanken und Ideen Ausdruck zu verleihen, so verstand man es früher so, daß jeder Künstler das Recht hat, Vorgefundenes nach seinen Ideen zu verändern.Wenn wir an die Zehn Gebote denken, dann stehen Menschen auch manchmal wie vor einem Kunstwerk, das sie nicht deuten können. Umgekehrt hat man sie früher einfach dem Zeitgeist entsprechend umgestaltet. So war in meiner Kindheit aus dem Gebot "Du sollst nicht ehebrechen" das vermeintliche Gebot geworden "Du sollst nicht unkeusch sein" – was letztlich ein ganz anderer Sinn ist. Gottes Gebote darf man nicht ändern , wohl aber muß man sie deuten, erklären, damit man das schöpferische Kunstwerk Gottes, das sie darstellen, verstehen kann.



(C) 2000 Heribert Ester