Pfingstsonntag:   
Windgeformt   

Einen fast auf den Boden gedrückten Baum habe ich schon mal in der wirklichen Natur gesehen, im sogenannten "Burren", einer Steinwüste im Mittelwesten Irlands. Dort, wo wegen des felsigen Bodens keine Wälder wachsen können, wo deshalb kein Baum dem anderen Halt geben kann, sondern jede Pflanze dort, wo sie etwas Boden gerade für sich selbst gefunden hat, ganz und gar dem Wind und Wetter ausgesetzt ist.
Und deshalb springt es einem gerade dort in die Augen, daß jede Pflanze, jedes Geschöpf einmalig ist und in einzigartiger Weise den Kräften, die rund herum wirken, ausgesetzt ist. Ja, jede Pflanze dort wird gerade durch diese Kräfte unverwechselbar.
Pfingsten geschah im Zeichen des Sturms. Die Jünger, die hinter verschlossenen Türen Schutz suchten wie der einzelne Baum Schutz findet im Wald, sie öffnen die Fenster und Türen und werden sich dem Sturm des Geistes aussetzen. Und dieser Geist wird sie unverwechselbar prägen. Von nun an werden sie nur noch einmal zusammenkommen; jetzt wird jeder für sich seinen Weg gehen, und jeder in der Art, wie der Geist ihn geprägt hat, das Wunder des Lebens verkünden. Die Menschen werden es ihnen ansehen, so wie in der Steinwüste des Burren die Menschen beeindruckt vor einem einsamen Baum stehen bleiben, ein Foto machen, um dieses eindrucksvolle Bild nicht wieder zu verlieren.
Pfingsten zu verlieren, wäre wenigstens genauso schade.



(C) 2000 Heribert Ester