6. Sonntag im Jahreskreis   
Fingerzeig der Liebe   

"Wenn Du dem den kleinen Finger reichst, dann nimmt er die ganze Hand." - Eine Befürchtung, die ausgesprochen wird, wenn Menschen Angst haben, daß ihre Gutmütigkeit, ihre verschenkte Liebe blank ausgenutzt wird.
Und wenn dann Menschen erst einmal diese Angst haben, daß ihnen die ganze Hand genommen wird, sind sie bald auch nicht mehr bereit, auch nur noch einen kleinen Finger zu reichen...
Es ist schon schwierig mit der Liebe, sie richtig einzuschätzen, zu sagen, ob die Signale, die da empfangen werden, echt sind, ehrlich gemeint oder nur berechnet. Es gibt so viele verschiedene Arten der Liebe: die gekaufte Liebe, die aufgedrängte Liebe, die mißbrauchte Liebe, die erzwungene Liebe, die verzweifelte Liebe, die hoffnungslose Liebe... Aber es gibt - Gott sei Dank - auch die echte Liebe. Im ganz intimen Bereich zweier Menschen und im allgemein zwischenmenschlichen Bereich, dort, wo wir als Christen gern von der Nächstenliebe sprechen. Von Jesus können wir annehmen, daß die Menschen bei ihm gleich die Echtheit seiner Liebe und Zuwendung gespürt haben. Da muß so etwas wie ein Funke übergesprungen sein. Daß der andere sofort merkte: Dieser meint es gut mit Dir. Und dann werden Wunder wahr. Dann gibt es Blinde, die sehen können, Lahme, die gehen können, und Stumme, die Gott preisen können.
Ob Jesus vielleicht auch hin und wieder Angst hatte, daß ihm die ganze Hand genommen wurde? Ich weiß es nicht. Aber wichtiger ist doch erst mal, daß er bereit war, den ganzen Finger zu reichen. Ich denke, darauf kommt es an, wenn ich wirklich Liebe schenken möchte.



(C) 2000 Heribert Ester