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Ein progressives Dokument wird konservativ 

Vierzig Jahre "Gaudium et Spes" 

Das vor vierzig Jahren verabschiedete Dokument "Gaudium et Spes", die berühmte Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, gilt vielen Katholiken als das wichtigste und innovativste Dokument, ja als der eigentliche Höhepunkt des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der ursprüngliche Anstoß ging damals vom brasilianischen Bischof Helder Camara aus. Er stellte Anfang der sechziger Jahre in Rom die provozierend gemeinte Frage: "Sollen wir unsere ganze Zeit darauf verwenden, interne Probleme de Kirche zu diskutieren, während zwei Drittel der Menschheit an Hunger sterben?"
Der belgische Kardinal Leon-Joseph Suenens  schaffte es dann 1962, die Konzilsväter für dieses Thema zu erwärmen. Daraus entwickelte sich schließlich eine neue Haltung zur Welt und eine neue Art, de Kirche zu sein. Die großen Themen lauteten: Fortschritt, Arbeitswelt, Christen in der Politik, Solidarität... Berühmt wurde der erste Satz: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi." Im Rückblick urteilt Kurienkardinal Renato Martino, Präsident des Päpstlichen Rates Justitia et Pax: "Hier wird das Antlitz einer Kirche deutlich, die sich tief solidarisch mit dem Menschen und seiner Geschichte fühlt." 
Der Grazer Religionspädagoge Rainer Bucher beklagt allerdings (in der Zeitschrift "Diakonia"), daß in der Folgezeit des Konzils das innovative Dokument Schritt für Schritt ängstlicher und defensiver ausgelegt wurde. Die Konzilsväter sahen "zwischen Geistlichem und Säkularem keinen Gegensatz der Personen, sondern ... eine personale Aufgabe für alle Katholikinnen und Katholiken". Indem sie von den "Zeichen der Zeit" sprachen, forderten sie dazu auf, den Glauben mutig und kreativ mit den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ins Gespräch zu bringen, und erachteten auch die Sozialform der Kirche nicht als endgültig. Die Krise der Kirche hängt für Bucher damit zusammen, daß "Gaudium et Spes" nur sehr mangelhaft im Glaubensbewußtsein aufgenommen und umgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano in "Radio Vatikan" anläßlich des vierzigjährigen Jubiläums des Dokuments nicht dessen progressive, evolutive und dynamische Seite hervorhob, sondern - im Gegenteil - besonderen Wert auf jene Passagen legte, welche das unveränderliche Naturrecht betonen. 

Christ in der Gegenwart
S. 111 (Nr. 14/05) 

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