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So geht es nicht auf Dauer weiter
Priestermangel und Glaubenskrise:
Die Zölibats-Debatte bricht neu auf
Die katholische Kirchenführung bestreitet zwar, daß es einen klaren Zusammenhang gibt zwischen der Pflicht zur Ehelosigkeit der Priester und dem dramatischen Rückgang von Berufungen ins geistliche Amt. Statt dessen wird behauptet, die Ursachen lägen in der allgemeinen religiösen Schwäche begründet oder darin, daß die Gläubigen nicht genug beten, nicht ausreichend Verständnis wecken für jenen Dienst. Doch es kann kein bloß statistischer Zufall sein, was der kanadische Soziologe James D. Davidson für Nordamerika feststellt: In keiner christlichen Gemeinschaft sind die geistlichen Berufungen derart eingebrochen wie unter Katholiken. Selbst in jenen Kirchen, die einen weitaus stärkeren
Mitgliederverlust beklagen, ist die Zahl der Pfarrer gleichgeblieben, vereinzelt sogar gestiegen. Alle diese Kirchen - auch die Orthodoxen - kennen eine Zölibatspflicht für Gemeindepriester nicht.
Unterdessen regt sich in den Vereinigten Staaten nicht bloß unter Laien, sondern auch unter Seelsorgern Unmut, ja wächst mancherorts Zorn, daß die Kirchenleitungen nicht gewillt sind, die Zölibatsfrage, die überall brennt, endlich anzusprechen, die Krise auf den Tisch zu bringen und auch in Rom energisch darauf zu drängen, die Diskussion in Freiheit zu eröffnen. Als Zwischenschritt wird die Weihe verheirateter bewährter Männer von der Mehrheit der Katholiken als längst überfällig beurteilt. Es sei schlechterdings unverantwortlich, daß die Bischöfe nichts unternehmen, um dem Priestermangel zu begegnen. Ähnliche Unzufriedenheit mit der Lehrautorität, welche die Dinge treiben zu lassen scheint, macht sich in Europa breit. Bisher laufen alle ,,Lösungen« darauf hinaus, den Priestermangel, der mit einem immer massiveren Gläubigenmangel einhergeht, durch rein verwaltungstechnische Notmaßnahmen wie Seelsorgeeinheiten abzufedern.
Zu beschönigen ist nichts mehr In den Vereinigten Staaten sank die Zahl der katholischen Geistlichen während der letzten zwanzig Jahre von 58000 auf unter 45000, also um nahezu ein Viertel. Die Geistlichkeit überaltert gewaltig. Wie will man so im jugendlichen Lebensgefühl einer jungen Generation eine junge Kirche entwickeln helfen? Mit dem ungeheuren religiösen Abbruch in der nachwachsenden Generation spitzt sich das Strukturproblem Priestermangel zum Glaubensproblem zu. Faktisch fürchten viele Nachdenkliche einen Zusammenbruch des sakramentalen eucharistischen Lebens, das für die katholische wie orthodoxe Glaubenstradition substantiell, wesentlich ist.
Aufsehen weit über Amerika hinaus erregt hat neulich ein Mahnschreiben von 150 Priestern des Erzbistums Milwaukee an den Bischofskonferenz-Vorsitzenden Wilton Gregory. Die Pfarrer verlangen, die westliche Zölibatsregelung, die ohnehin nur für die lateinische Teilkirche der katholischen Weltkirche und nicht für die mit dem Papst verbundenen Ostkirchen (etwa die griechischen Katholiken) gilt, zu überdenken. Die amerikanischen Priester, die viel Zustimmung für ihren Aufruf auch von außerhalb des Kontinents erhielten, nennen ein weiteres Argument: daß in der römisch-katholischen Teilkirche zusehends Priester im Einsatz sind, die Frau und Familie haben. Viele dieser Geistlichen kommen aus evangelischen Kirchen, waren dort bereits ordiniert. In den letzten Jahren haben zahlreiche verheiratete Priester der anglikanischen Kirche unter anderem aus Protest gegen das dort eingeführte Priestertum der Frau ihre
Bekenntnisgemeinschat verlassen und sich der katholischen Kirche angeschlossen. Hier üben sie nun - nach nochmaliger Handauflegung durch einen Bischof - ihr geistliches Amt weiter vollgültig aus, mit Familie.
Der amerikanische Bischofskonferenz-Vorsitzende versuchte zwar zu beschwichtigen. Zehntausende von Pfarrern früherer Generationen würden
"treu zu ihrem Gelöbnis der zölibatären Keuschheit" stehen und darin
"eine große geistige Kraft für ihre Nähe zu Christus finden." Er selbst identifiziere sich voll und ganz mit den geltenden Zölibatsregeln. Doch ist nicht zu übersehen, daß sich die Zölibatsfrage zum Ende der Amtszeit von Papst Johannes Paul IL, der in keiner Weise bereit ist, daran rühren zu lassen, global immer bedrängender stellt. Dies umso mehr, als die katholische Kirche sogar des Westens inzwischen immer mehr verheiratete Priester zum Dienst am Glauben einstellt Es ist nicht nur eine Sache der Glaubwürdigkeit, sondern echter seelsorglicher Not, den Tatsachen endlich ins Auge zu sehen.
Christ
in der Gegenwart, 45/2003, S. 380
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