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Von Bräuchen,
die nicht mehr gebraucht werden

Beim Chorgebet in einem alten Kloster geschah es immer wieder, daß sich zusammen mit den Mönchen die Katze des Klosters in die große Abteikirche schlich. Das wäre ja an sich noch nicht schlimm gewesen, aber während sich die Mönche auf die Worte der Psalmen und den rechten Ton besinnen wollten, streunte die Katze in aller Seelenruhe zwischen den Füßen der Mönche herum und lenkte sie dadurch nicht wenig von ihrem eigentlichen Vorhaben ab.
So kam es, daß eines Morgens der Abt den Entschluß faßte, die Katze noch vor dem Einzug in die Kirche zu sich zu locken, ihr einen Strick um den Hals zu legen und sie an einem Pfosten des Chorgestühls festzubinden. Dieses Ritual wiederholte sich fortan jeden Morgen, bis eines Tages der Abt starb.
Doch auch der neue Abt nahm diesen Brauch seines Vorgängers auf, fing allmorgendlich die Katze ein und band sie am Pfosten des Chorgestühls fest.
Nun starb aber auch eines Tages die Katze, und die Mönche schafften sich eine neue an und vollzogen mit ihr das gleiche Ritual, auch wenn es ihr wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen wäre, von sich aus dem frommen Gesang der Klosterbrüder zu lauschen.
Der Abt, der ein sehr gelehrte Theologe war, verfaßte - durch diesen Brauch in seinem Geiste geregt - eine Schrift, in der er darlegte, daß die Feier des Morgengebetes nur rechtmäßig sei, wenn eine am Chorpfosten festgebundene Katze dem Chorgesang lausche. So kam es, daß die Mönche schließlich auf ihrem Weg zu ihrem Platz im Chore sich ehrfürchtig vor jener Katze verneigten.
Nun mochte aber die Katze dieses allmorgendliche Ritual durchaus nicht, und auch, daß die Mönche sich vor ihr ehrfurchtsvoll verneigten, beeindruckte sie nicht sonderlich. Und sie lies sich des Morgens bald nicht mehr in der Nähe der Klosterkirche sehen.
Die Mönche waren ratlos und sahen sich fast schon außerstande, das gemeinsame Morgengebet zu verrichten, wäre nicht der Bruder Schreiner auf die segensreiche Idee gekommen, eine hölzerne Katze zu fertigen, vor der man sich fortan beim Gang in die Kirche verneigen konnte. Und so geschah es denn auch, und niemand wäre mehr auf den Gedanken gekommen, auf diesen Brauch auch nur ein einziges Mal zu verzichten.

Quelle unbekannt
nacherzählt von Heribert Ester (c) 2003

 

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