Zeitsplitter   

Ratzinger und die Deutschen

Der Jubel hält sich in Grenzen

Als der Pole Karol Wojtyla 1978 zum Papst gewählt wurde, kannte der Jubel in seinem Heimatland keine Grenzen. In Deutschland ist es 2005 anders. Mit gemischten Gefühlen reagieren viele Christen im Heimatland des neuen Papstes Joseph Ratzinger auf die Nachricht aus Rom. Schließlich hat der bisherige Präfekt der Glaubenskongregation in den vergangenen Jahren zahlreiche Reformanliegen nördlich der Alpen abgekanzelt. Als Papst hat er nun noch größeren Einfluss auf die Geschicke der Kirche in Deutschland.

Vor allem die Ökumene liegt Millionen von Katholiken und Protestanten im Heimatland der Reformation Martin Luthers am Herzen. Die konfessionellen Grenzen werden hier besonders schmerzhaft gespürt; der Riss geht durch viele Familien. Der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit und gemeinsamen Abendmahlsfeiern stößt bei vielen deutschen Bischöfen auf großes Verständnis.

Doch Ratzinger ist bisher hart geblieben. Seine vatikanische Erklärung "Dominus Jesus" war im Jahr 2000 eine kalte Dusche für alle Ökumeniker: Den protestantischen Kirchen sprach er ab, überhaupt echte Kirchen zu sein. Dem ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin blieb Ratzinger demonstrativ fern - und begab sich lieber auf eine Firmreise nach Oberbayern.

Bittere Erfahrungen

Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, hat bittere Erfahrungen mit Ratzinger gemacht. Der Mainzer Bischof wollte Ende der 90er Jahre die Schwangerschaftskonfliktberatung der katholischen Kirche retten. Eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bischöfe unterstützte diesen Kurs, doch Ratzinger erzwang einen Ausstieg aus dem staatlichen Beratungssystem. Später wandte er sich auch gegen den Verein "Donum Vitae", den das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gründete, um weiterhin schwangere Frauen in Konfliktlagen beraten zu können.

Das ZdK steht für den Laienkatholizismus, der in Deutschland so stark ist wie in kaum einem anderen Land der Welt. Laienverbände wie die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands mit Millionen von Mitgliedern pochen seit Jahren auf mehr Mitspracherechte der Frauen. Doch auch in diesem Punkt zeigte sich Ratzinger bisher beinhart. Eine Priesterweihe von Frauen lehnt er kategorisch ab. Im Jahr 2002 exkommunizierte er sieben in Österreich geweihte Priesterinnen.

Theologischer Intellekt

Ratzingers Stärke ist sein überragender theologischer Intellekt. Die wissenschaftlichen Publikationen des Dogmatikprofessors genießen einen guten Ruf. Die Wahl des Deutschen zum Papst adelt auch die deutsche Universitätstheologie. Und doch tun sich viele seiner ehemaligen Kollegen schwer mit ihm. In seiner "Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen" betonte Ratzinger 1990 den Vorrang des Lehramtes vor der Freiheit der Theologie. Später verlangte er von Theologen einen Treueid; manchen verweigerte er das "nihil obstat", also die Genehmigung zur Übernahme eines Lehrstuhls. Der Paderborner Theologe Eugen Drewermann verlor 1991 seine Lehrerlaubnis.

In einem Punkt hat Ratzinger zuletzt eine vorsichtige Öffnung angedeutet: Er plädierte für mehr Mitsprache der Bischöfe und Ortskirchen, also der Bistümer im Verhältnis zur römischen Kirchenzentrale. "Der Papst ist nicht der Monarch der Bischöfe, sondern der Diener der kirchlichen Gemeinschaft", sagte Ratzinger 2001. "Wir müssen effizientere Methoden finden, um Kollegialität in der Kirche auszuüben." Die nächsten Bischofsernennungen in Deutschland werden zeigen, wie ernst es Ratzinger mit diesem Anliegen ist. 1988 hatte der Vatikan noch den Konservativen Joachim Meisner gegen den Willen des Domkapitels als Kölner Erzbischof durchgesetzt.

Neue Positionen?

Der Tübinger Theologe Dietmar Mieth spricht aus, was viele heimlich hoffen: "Als Papst muss Ratzinger ja nicht unbedingt das fortsetzen, was er als Präfekt der Glaubenskongregation gemacht hat." Es wäre nicht das erste Mal, dass Ratzinger seine Positionen überdenkt. Als junger Theologe gehörte er noch zu den progressiven Kräften der Kirche. Begeistert nahm er am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) teil, das die Kirche für die Moderne öffnete.

Die Studentenunruhen in Tübingen führten Ende der 60er Jahre zu einer Wende. Die Öffnung zur Welt schien in Chaos und Beliebigkeit zu führen - Ratzinger kämpfte nun um die Bewahrung der Tradition. Der liberalen These von der Reformbedürftigkeit der Kirche setzte er die konservative Antithese von der ewigen, unveränderlichen Wahrheit des Glaubens entgegen. Als Papst könnte er nun eine Synthese beider Positionen wagen.

Vom Konservativen zum Reformer

In diesem Sinne erinnern deutsche Reformkatholiken auch an den Amtsantritt von Papst Johannes XXIII. im Jahre 1958. Als Patriarch von Venedig hatte er einen eher konservativen Ruf, doch als Papst wurde er zum Reformer, berief das Zweite Vatikanische Konzil ein und öffnete - wie er selber sagte - die Fenster und Türen der Kirche, um frischen Wind hereinzulassen. Vielleicht werde das neue Amt auch bei Benedikt XVI. zu solchen neuen Akzenten führen, heißt es.

Schon in wenigen Monaten können die Deutschen ihren neuen Papst vor Ort erleben: Ratzinger kündigte einen Besuch beim Kölner Weltjugendtag im August an. Karol Wojtyla war beim letzten Weltjugendtag 2002 in Toronto (Kanada) frenetisch bejubelt worden. Mit Spannung wird erwartet, ob auch Joseph Ratzinger die Herzen der Jugendlichen erobern kann.

von Bernward Loheide, dpa   
in ZDFheute.de   
20.04.2005

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